Kolumne

Jochen hat bis zu seinem Tod als Kolumnist für unser Projekt noch 3 Beiträge verfasst, die wir hier der Vollständigkeit wegen gerne noch abbilden möchten.

betrachtungen zu hannöverschen sprache von theodore le singe
(Aus dem Buch „ Jäö oder wie ein Franzose auszog um in Hannover das „raanste“ Deutsch zu lernen“)

Hinter dem französisch klingenden Namen des Autors verbirgt sich niemand anders als der deutsch-jüdische Philosoph und politische Publizist Theodor Lessing ( 1872 – 1933). Er wurde in Hannover geboren und flüchtete 1933 vor den Nationalsozialisten nach Marienbad in der Tschechoslowakei, wo er im August von nationalsozialistischen Attentätern erschossen wurde.

Lessing spielte nicht nur eine Rolle in der Philosophie der damaligen Zeit, er sorgte auch für Aufsehen, als er als Gerichtsreporter 1925 die Rolle der Polizei im Prozess gegen den Serienmörder Fritz Haarmann publik machte und außerdem klar Stellung gegen den späteren Reichspräsidenten Paul von Hindenburg bezog. Auch als Pädagoge hatte er großen Einfluss: Er baute in Hannover-Linden zusammen mit seiner Frau Ada die dortige Volkshochschule auf. Heute sind die hannoversche Volkshochschule und der vorgelagerte Platz nach ihm benannt.

Aber nicht alle Veröffentlichungen von Lessing waren schwere Kost und handelten von Philosophie, Politik oder Didaktik: In einem Buch beschrieb er in den frühen Zwanzigern die fiktive Geschichte eines jungen Franzosen, der von seinem humanistisch gesinnten Vater nach Hannover geschickt wird, um hier das angeblich beste Deutsch zu lernen. Das Buch ist eine Mischung aus Erzählung, humoristischer Sprachbetrachtung und Worterklärung und absolut lesenswert.

Hannovers Oberbürgermeister Stefan Weil hat den Vorschlag gemacht, Ausschnitte daraus auf unserer Seite als Hörstücke zu präsentieren. Wir greifen diesen Vorschlag dankend auf – am 17.Oktober geht ein Kapitel von „Theodore LaSinge“ online – wir wünschen schon mal vorab viel Spaß!

 

12.08.2010

Das sprachliche Sommerloch: Sachsen und Hannoveraner

So, so. Da hat also im Juli ein Sprachwissenschaftler mit dem Schreiber einer Nachrichtenagentur geplaudert und einige krude und wirre Thesen zum Ursprung der hannöverschen Sprache entwickelt. Der Schreiber verschwurbelt die Geschichte noch mal weiter, und fertig ist eine mehr oder weniger alberne Agenturmeldung, die leider auch von den lokalen Zeitungen ungeprüft übernommen und in einem Fall sogar auf Seite 1 präsentiert wurde. (Sind Redakteure inzwischen nicht mehr vorhanden?)

„Hannoveraner sprechen Sächsisch“, das war die Kernaussage dieser Bullshit-Mitteilung. Martin Luthers Bibelübersetzung sei seinerzeit von den Hannoveranern ohne Kenntnis der korrekten sächsischen Aussprache (Luther war Sachse) gelesen und gesprochen worden, und so sei die hannöversche Sprechweise entstanden.

Aha. Wir gehen also „nache Omma hin“ oder sind „im Gachten“, weil unsere Vorfahren zu doof waren, anständig sächsisch zu sprechen. Da hat sich aber ein „Sprachwissenschaftler“ ganz bedenklich das Hirn ausgerenkt, um uns mit dieser Erkenntnis zu beglücken.

Fakt ist, dass die hannöversche Sprechweise aus dem ostfälischen Platt hervorgegangen ist, dass Luthers Bibelübersetzung in keinster Weise rein sächsisch war und dass es tatsächlich enge historische Beziehungen des Sachsen zu Niedersachsen gibt, die aber keine Relevanz für unsere hiesige Sprechweise haben.

Facts hierzu:

http://www.bild.de/BILD/regional/hannover/aktuell/2010/07/21/ei-verbibbsch/die-echten-sachsen-leben-in-hannover.html

Sehr ausführlich und gründlich:

http://www.ins-bremen.de/de/texte/geschichte-des-plattdeutschen/plattdeutsch-vorgestern.html

05.10.2009

der hann�versche genitiv und das „m“

„Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“, so heißt ein sehr erfolgreiches Buch von Bastian Sick, in dem er die Untiefen der deutschen Sprache auslotet.

Auch der Hannoveraner hat ein ganz eigenes Verhältnis zum Genitiv:
Er hasst ihn zwar nicht wirklich, aber sympathisch ist er ihm auch nicht grade. So versucht er ihn mit allen Mitteln zu umschiffen und durch Dativ oder sogar Akkusativ zu ersetzen.

Konkret: Statt „das ist Willis Kugelschreiber“ sagt er häufig: Das ist „Willi sein Kugelschreiber.“ Die gesteigerte Variante lautet: “ Das ist „Willi ihm sein Kugelschreiber“ und der Extremsportler unter den hannöverschen Sprechern geht noch einen Schritt weiter, nämlich bis zum Akkusativ und sagt: „Das ist Willi ihn sein Kugelschreiber.“

Noch schräger ist jetzt aber folgendes: Im männlichen Geschlecht ist ja der Gebrauch des Dativs durch das „m“ gekennzeichnet: „ihm“.
Im Akkusativ ist es das „n“: „ihn“. Es sind Fälle vorgekommen, wo hannöversche Sprecher durch ihre Unsicherheit in Sachen Dativ und Akkusativ auch nicht mehr den Unterschied zwischen „m“ und „n“ kannten, so z.B. ein legendärer Zoohändler aus der Marienstrasse, der regelmäßig stolz verkündete, dass er günstige „BLAUSTIRM – AMAZONEN“ im Angebot habe.

Das ist sprachlich zwar nicht schön, aber dafür schön hannöversch!